Der Freiheit soh nah
Die Menschen sind auf der Straße. Gefühlt überall. Endlich. Sie sind, obwohl viel dagegen unternommen wird, friedlich. Sie wünschen sich nichts mehr, als ihre Freiheit zurück und haben die allumfassende Bevormundung, die Lügen und Entwürdigungen satt.
Die Schwelle der Akzeptanz dieser Menschen ist offenbar erreicht. Doch wird in diesen Zeiten auch sichtbar, daß ein großer Teil der Menschen, das, was der Plan war oder noch immer ist, als Freiheit akzeptiert hätten. Als ihre neue Freiheit. So, wie sie Orwell schon beschrieb.
Ein digitaler Pass, ein soziales Bewertungssystem, ein Chip im Arm bedeuten nicht Freiheit sondern das Gegenteil. Absolute Kontrolle. Wie kann ein Mensch sich das als Freiheit verkaufen lassen? Allein der Blick auf die Webseite der Vereinten Nationen reicht, um das Argument der Verschwörungstheorien zu Staub zerfallen zu lassen. Dort sind alle Vorhaben zu finden. Stichwort: Smart City. Und so ist das Kopfschütteln groß bei denen, die auf der Straße sind über jene, die es nicht sind.
Doch es trügt das Bild der Einigkeit auf den Straßen, Auch wenn die Losung, die aus den Mündern erschallt, dieselbe ist. 10.000 Spaziergänger mit dem Ruf nach Freiheit heißt auch 10.000 verschiedene Vorstellungen, was das bedeutet. Es fühlt sich so an, als ob es für so manchen nur darum geht, sein altes Leben zurück zu bekommen. Doch war dieses Leben Freiheit? Würde eine Rückkehr in das Jahr 2019 eine Rückkehr in ein freies, selbstbestimmtes Leben bedeuten? Oder war es augenscheinlich nur bequemer und lediglich ein bißchen freier als jetzt? Wieder einmal ist das die Frage der Perspektive.
Es ist für viele das schönste Fest des Jahres. Weihnachten. Und es ist erst ein paar Wochen her. Wie wäre das Fest denn verlaufen, wenn wir alle gegenwärtigen Restriktionen mit einem Fingerschnipp verschwinden lassen könnten? Natürlich hat jeder für sich ein eigenes Bild. Aber zu erwarten wäre, dass die Masse, vielleicht genau die Masse, die im Moment vor dem Fernseher auf ihre neue Freiheit wartet, das Verhalten zeigt, was man eben aus den letzten Jahren und Jahrzehnten kennt. Was noch übrig geblieben ist von dem, was wir Weihnachten feiern, ist das Miteinander der Familie.
Warum dieser Schwenk zu Weihnachten? Drei Generationen Fernsehen und damit Fremderziehung durch Vermittlung von anderen Werten als den eigenen hinterlassen ihre Spuren. Und so feiert man eben zu Weihnachten ein Kommerzfest mit einer Leitfigur einer großen Getränkemarke und runzelt mit leichtem Unbehagen die Stirn über Begriffe wie Julfest und Rauhnächte. Worte, deren Bedeutung zu Zeiten des Großvaters noch präsent waren. Viele Menschen beschäftigen sich heute wieder mit diesen Dingen und befreien ihren Kopf aus dem geistigen Laufgatter.
Doch wenn man es in nur drei Generationen geschafft hat, uns einen Mann im roten Mäntelchen als unsere Tradition zu verkaufen, was ist dann mit dem Bild der Freiheit? Wie wurde das verändert? Wie ist unsere Sicht auf die Freiheit, die wir nun auf der Straße fordern?
Für viele würde es wahrscheinlich reichen, wenn man sie nur in Ruhe ließe. Einfach das normale Leben, was man eben vor 2020 kannte. Wie sah das noch mal aus unter der Freiheitsperspektive? Zu schnell gefahren, Strafe. Zu spät bezahlt, Strafe. Ausweis abgelaufen, Strafe. Nur die Gewohnheit gibt diesen Dingen ihre Legitimität. Aber ist das erstrebenswert? Der Gedanke der grenzenlosen Freiheit beginnt bei mir stets mit einem Bild. Eine große, endlose, saftig grüne Wiese an einem sonnigen Tag. Die Halme wiegen sich in einer leichten Sommerbrise. Sonst nichts. Gar nichts. Früher hat sich an dieser Stelle immer gleich der Gesellschaftsreflex bemerkbar gemacht. „Die Freiheit des einen hört dort auf wo die des Anderen beginnt.” Das kann weg. Was für ein Blödsinn aber auch! Das würde ja bedeuten, daß wir als Menschen uns im Streben nach Freiheit regelmäßig gegenseitig im Wege stehen. Das wir uns mit unserer bloßen Existenz beschränken. Wer kann diese Sichtweise wollen? Jedenfalls nicht der Geist, der sich nach Freiheit sehnt.
Betrachten wir doch einfach mal folgenden Gedanken: Freiheit hat nur die Grenzen, die wir uns schaffen. Und jetzt die Nagelprobe. Wer will sich selbst gern Grenzen setzen?
So, wie wir längst wissen, daß der Wald ein komplexes Gebilde ist, in dem alles miteinander verbunden ist, so gilt dies auch für die Menschheit. Das ist das Großartige an diesen Zeiten, die wir erleben dürfen. Die Menschen finden wieder zueinander. Und sie erkennen, daß dieses Miteinander, kraftvoll und belebend ist. Alle Themen kommen in Wallung. Die Erinnerung an die eigenen Wurzeln, der Umgang mit uns selbst, die Wertschätzung des eigenen Seins bis hin zur Erkenntnis: Die Freiheit und das Streben danach liegt unauslöschlich in uns. Man hatte nur unsere Sinne vernebelt durch bunte Bilder, betörende Klänge und süße Gerüche.
So viele, bei denen die Nebelschwaden verschwunden sind, bewerten sich und ihr Leben neu. Das sehen die Sam und ich durch die Reaktionen auf unsere Morgensendung. So viele Zuschriften von Menschen, die ihr Leben verändern. Die diese Zeiten als Chance begreifen und etwas daraus machen, was sie selbst niemals für möglich gehalten hätten.
Nachbarschaften verbinden sich wieder. Man hilft sich gegenseitig, gestaltet das soziale Leben wieder gemeinsam. Die Verbote des Systems werden zur Quelle der Kreativität. Der Besuch der Großraumdisko hat sich gewandelt zum eigens organisierten Tanzabend. Vielleicht kommt dabei auch die längst ausrangierte Kofferheule vom Dachboden zum Einsatz. Die mit dem Kassenlaufwerk für die alten Hits, die wir schon vor dreißig Jahren auswendig konnten. Und die uns daran erinnert, daß etwas auch gern länger halten darf als bis kurz nach Ablauf der Garantiezeit.
Statt Fitnessklub mit Maske, Felgenstemmen in der Garage. Der beste Kumpel trainiert gleich mit. Danach eine Zigarre an der Feuertonne. Ausnahmsweise. Nur unter Männern.
Selber kochen mit Mutterns Rezepten, denn Restaurant geht ja gerade nicht. Nudelholz, Mixer oder – wo es sie noch gibt – die Küchenhexe zum Kuchen backen, all das lebt gerade wieder auf und fühlt sich einfach nur gut an.
Die sich darin wiederfinden, eint ein Gedanke. Wir lassen uns unser Leben nicht nehmen. Und wenn es so nicht geht, dann eben anders. Und dauerhaft nehmen wir das so keinesfalls hin.
So gehen wir Zeiten entgegen, in denen jeder Freiheit anders definieren mag, jedoch eines allen gemein ist: Die Mauern im Geist, so schön sie auch angemalt gewesen, sie bröckeln. Und wer durch die ersten Löcher hindurchschaut, sieht dort seine endlose Wiese im Sommerwind. Der Drang dahin, dieser unwiderstehliche Sog, das ist der Ruf der Freiheit.
Und so begegnen sich in diesen Monaten die Menschen spazierengehend mit Freude, Liebe, mit Frieden uns Respekt. All die Dinge, die uns innewohnen und die uns verbinden. Nicht jeder mag ein Bild dessen in sich tragen, was er will. Und inständig bleibt zu hoffen, daß jene Bilder, die schon da sind, einem Feuerwerk gleichen. Dem größten, buntesten, lautesten und längsten Feuerwerk, daß man sich ausdenken kann. Warum? Sie sind der Gedanke, wie unser Morgen aussehen kann. Und wie wir es gestalten wollen. Dieses Morgen, nachdem sich alle sehnen, die den Ruf nach Freiheit in sich tragen. Das sind wir. Die Menschen.
Erschien in der 4. Ausgabe des WALNUSSblatt-Magazins
In rasanter Geschwindigkeit verändert sich das Zeitgeschehen. Der Artikel "Der Freiheit so nah" ist ein Stück Zeitzeugnis aus dem Jahr 2022 und zeigt die gesellschaftspolitischen Entwicklungen auf.